Neue Impulse für grenzüberschreitende Erinnerungsarbeit

Ein Bericht über das deutsch-tschechische Fachforum „Gemeinsam erinnern für eine gemeinsame Zukunft“ (19.-21.04.2018, München)

Darf man im Konzentrationslager tanzen? Wie schafft man eine gute Gesprächsbasis zwischen einem Zeitzeugen und einer Jugendgruppe? Wie ermöglicht man deutschen und tschechischen Schüler/-innen bei einer Gedenkstättenfahrt ein gemeinsames Erinnern? Das waren nur drei der Fragen, die die circa 80 Teilnehmer/-innen am deutsch-tschechischen Fachforum „Gemeinsam erinnern für eine gemeinsame Zukunft“ diskutierten. Vom 19. bis 21. April 2018 brachten die Koordinierungszentren Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch – Tandem dafür Fachkräfte aus Jugendarbeit, Schule, politi-scher Bildung und aus der Gedenkstättenpädagogik in München zusammen. Für Thomas Rudner, Leiter Tandem Regensburg, stand dabei der Netzwerkcharakter im Vordergrund: „Das Fachforum ist der Ort, an dem sich die aktiven Fachkräfte treffen und kennenlernen können, grenzübergreifend, aber auch auf persönlicher Ebene. Wenn man sich persönlich trifft, entsteht immer wieder etwas Neues.“

Für ein weiteres Publikum öffnen

Klassische Tagungselemente wie Vorträge bildeten auf dem Forum eher die Ausnahme. Mit Tanzpädagogik, Theater, Workshops und offenen Gesprächsrunden sollten sich die Teilnehmer/-innen dem komplexen Thema auf unkonventionelle Art und Weise nähern.

Das Forum begann mit einem Rundgang durch das Münchner NS-Dokumentationszentrum, in dem sich die Teilnehmer/-innen auch mit der Entstehungsgeschichte und den Zielen der Einrichtung vertraut machten. Es ist im Wesentlichen „ein selbstkritischer Umgang mit der Geschichte“, der den Besucher/-innen laut Bildungsreferentin Felizitas Raith eröffnet werden soll. Im Schloss Fürstenried, dem Tagungsort, erwartete die Teilnehmer/-innen dann die offizielle Eröffnungsrede der Generalkonsulin der Tschechischen Republik, Kristina Larischová. Die Schirmherrschaft für das Fachforum habe sie sehr gerne übernommen. „Es ist wichtig, dass sich Menschen in Zeiten des Internets und der sozialen Medien auch persönlich begegnen. Außerdem freue ich mich immer, wenn ich in der Praxis sehe, wo die Projektmittel mit konkreten und positiven Ergebnissen eingesetzt werden“, sagte sie.

Input aus der Wissenschaft gab es am zweiten Forumstag. Dr. Lenka Adámková und Dr. K. Erik Franzen stellten die Arbeit der Deutsch-Tschechischen und der Deutsch-Slowakischen Historikerkommission vor. Eines der Hauptziele der Kommission sei es, „leicht zugängliche wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln und sich für ein weiteres Publikum zu öffnen.“ Als Umsetzung dieser Idee stellte die Kommission deutsch-tschechische Unterrichtsmaterialen vor, die Schüler/-innen Geschichte über Grenzen hinweg verständlich machen sollen.

Inspiration durch Austausch

Weitere Konzepte der pädagogischen Erinnerungsarbeit lernten die Teilnehmer/-innen bei Vorträgen und Workshops kennen. Mitarbeiter/-innen der Gedenkstätte Lidice, des Adalbert Stifter Vereins e.V. und der Universität Passau in Kooperation mit der Südböhmischen Universität in Budweis gaben Einblicke in ihre Arbeit. Besonderes Highlight war der gut besuchte Vortrag des Zeitzeugen Ernst Grube. Herr Grube wurde im Jahr 1932 in München geboren und hat einen großen Teil seiner Familie in Konzentrationslagern verloren. „Manche sagen, die Zeit heilt alle Wunden. Das stimmt aber nicht“, sagte er in seinem bewegten Vortrag.

In den Workshopeinheiten und Gesprächsrunden des Forums stand der Erfahrungsaustausch im Vordergrund. Die Teilnehmer/-innen sprachen unter anderem über Methoden zur Menschenrechtsbildung und zur Erinnerung an den Holocaust an Sinti und Roma, aber auch über Fake News in Deutschland und Tschechien. Darauf folgten drei Gesprächsrunden, bei denen die Teilnehmer/-innen je nach Interessenschwerpunkt über die Themen „Demokratie aktiv mitgestalten“, „Schulisch-außerschulische Kooperationen“ und „Gemeinsam erinnern – aber wie?“ diskutierten. Für Teilnehmerin Ráchel Kopůncová vom Verein „A BASTA!“ ist dieses Konzept voll aufgegangen: „Die Gesprächsrunde zur schulischen und außerschulischen Zusammenarbeit hat mir gut gefallen. Wir haben uns gegenseitig berichtet, wer was macht, wer was braucht und wo man sich noch mehr informieren und Kontakte knüpfen kann.“ Inspiration und Vorbilder gab es auch in acht Best-Practice-Runden. Dort stellten Initiativen ihre eigenen erfolgreichen Projekte vor und gaben zahlreiche Tipps, wobei viele auch auf potentielle Hürden wie die oft gefürchtete Sprachbarriere aufmerksam machten.

Erinnern ohne Sprachbarriere

Zwei Konzepte, die auf dem Fachforum präsentiert wurden, boten Lösungen für das Sprachproblem: Die Tanzworkshops von Alan Brooks und das Tineola-Theater. In den Genuss einer solchen Theateraufführung kamen die Teilnehmer/-innen am Abschlussabend des Fachforums. Das deutsch-tschechisch-weißrussische Ensemble kam auf der Bühne ganz ohne Worte aus, dafür mit viel Musik, Malerei und Tanz. Dabei stellten sie das Thema „Flucht und Vertreibung“ auf intuitive Weise dar.
Dass Kunst scheinbar Unmögliches möglich machen kann, bewies auch Alan Brooks, der unter anderem Tanzworkshops in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg gibt. Seine Erfahrungen teilte er zum Abschluss des Forums mit den Teilnehmer/-innen. „Ich hatte richtig, richtig Angst“, sagte er. „Tanzen im Konzentrationslager? Das klingt grausam.“ Mithilfe von Bildern, die Holocaust-Überlebende gezeichnet hatten, ermöglichte er es schließlich, jungen Leuten aus Deutschland und Tschechien in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg einen Zugang zu den Geschehnissen zu finden, was auch über Sprachbarrieren hinweg funktionierte.

Den Teilnehmer/-innen neue Methoden für die Erinnerungsarbeit an die Hand zu geben, war Jan Lontschar, Leiter Tandem Pilsen, ein wichtiges Anliegen. „Ich finde, dass die Veranstaltung dem Thema sehr gerecht geworden ist und ich hoffe, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen alle Impulse und Kontakte für die eigene Jugendarbeit nutzen können. Tandem wird sie natürlich dabei begleiten“, sagte er. Teilnehmer Marcus Reinert vom Čojč Theaternetzwerk Böhmen-Bayern resümierte: „Wir wollten in Kontakt kommen mit anderen Engagierten, die ähnliche Projekte machen, um uns zu vernetzen – und das ist absolut gelungen. Ich war ganz überrascht zu sehen, wie viel Interesse, Motivation und Zugang hier zu den anspruchsvollen Themen geherrscht haben.“

Das Fachforum war Teil der Veranstaltungsreihe zum Tandem-Schwerpunktthema „Gemeinsam erinnern für eine gemeinsame Zukunft“. Auf der Website www.gemeinsam-erinnern.eu kann man sich über die weiteren Angebote informieren.

Von Jana Pecikiewicz