Ein halbes Jahr als Europäische Freiwillige bei Tandem – Reflexion von Adéla Horáková
Es ist sechs Uhr morgens und ich sitze im Zug von Prag nach Weimar. Heute beginnt mein Mid-Term Seminar, ein fester Bestandteil des Europäischen Freiwilligendienstes.
Um mich herum höre ich Deutsch und Tschechisch und es wird mir bewusst, dass das für mich inzwischen absolut normal ist. Noch vor einem halben Jahr war das noch nicht so. Da gab es meine Muttersprache Tschechisch und eben die „fremde“ Sprache. Wäre ich in diesem Zug vor einem halben Jahr gesessen, dann hätte ich die Konversation der Mitreisenden nur als Strom fremder Wörter wahrgenommen, von denen ich vielleicht drei oder vier mit Erfolg erfasst hätte. Aber ich hätte einen Abstand gefühlt. Ich (als Tschechin) und sie (die Deutschen).
Heute, nach knapp sieben Monaten in Deutschland, nehme ich die deutschen und die tschechischen Gespräche als „gleichberechtigt“ wahr. Beim Verständnis, der Konversation und der Benutzung der Sprache fühle ich bei mir natürlich immer noch Luft nach oben. Aber es geht mir jetzt nicht um ein möglichst hohes grammatisches Niveau, sondern um das Gefühl für die Nachbarsprache.
Diese Veränderung kam bei mir nach ein paar Monaten im Tandem-Büro, meiner EVS-Einsatzstelle, wo ich mir angewöhnt habe, ohne mit der Wimper zu zucken vom Tschechischen ins Deutsche zu switchen. Weil so ziemlich alle Kolleg/-innen beide Sprachen sprechen, hängt es von der jeweiligen Situation ab, welche Sprache „gewinnt“. Oft ist es keine, denn manchmal spreche ich Tschechisch und mein Gegenüber antwortet mir auf Deutsch; und so führen wir dann das Gespräch oder die Diskussion deutsch-tschechisch fort. Diese Variante hat sich als die schnellste und praktischste entpuppt, vor allem, wenn wir etwas Dringendes besprechen wollen. Und ich mag sie. Denn ist nicht genau diese Variante die beste Möglichkeit, die deutsch-tschechischen Beziehungen zu verbessern, was ja Ziel von Tandem ist? Ist es nicht die Idee „meines“ Projektes (www.ahoj.info), jungen Menschen zu zeigen, dass es unnötig ist, sich mit Vorurteilen und meiner Meinung nach unberechtigten Hemmungen zu beschäftigen?
Dass es bei mir geklappt hat, die Barrieren in meinem Kopf abzubauen, betrachte ich als den größten Gewinn meines Freiwilligendienstes. Vielleicht auch deshalb, weil es nicht eine meiner Motivationen war, die mich dazu geführt haben, mich bei Tandem / Projekt ahoj.info zu bewerben. Im Gegenteil, es kam einfach so, quasi nebenbei.
An „meinem“ Projekt gefällt mir sowohl die Möglichkeit, deutsch-tschechische Seminare für junge Menschen zu organisieren, als auch die Pflege und Weiterentwicklung der Webseite www.ahoj.info und der projekteigenen Facebookseite. Ich wollte praktische Erfahrungen sammeln, und das tue ich – und zwar täglich!
Ein Seminar haben wir, die Freiwilligen, die das Projekt betreuen, bereits hinter uns und ich glaube recht erfolgreich. Nach Waldmünchen an der deutsch-tschechischen Grenze sind 26 junge Leute aus beiden Ländern gekommen, um sich ein Wochenende lang mit dem Thema Upcycling zu beschäftigen. In deutsch-tschechischen Gruppen haben sie aus Alt Neu gemacht und tolle Videos gedreht. Für manche war es der erste Kontakt mit dem Nachbarland und seiner Sprache und ich war stolz, dass sie diese Erfahrung bei unserem Seminar machen konnten.
Nun erwartet mich und die zwei anderen Freiwilligen unser zweites Seminar und die „15 Jahre ahoj.info-Feier“, was wirklich eine Herausforderung für uns alle ist und zugleich eine tolle Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln.
Im ersten halben Jahr war es natürlich nicht nur fröhlich und behaglich. Ein Jahr in einem anderen Land, in einer anderen Stadt und Arbeit statt Uni bedeuten neben der Begeisterung und Motivation auch viele Hindernisse und Schwierigkeiten. Aber die abwechslungsreiche Arbeit, das tolle Team und die Möglichkeit, sich in alle Richtungen zu entwickeln, haben die Hindernisse und Schwierigkeiten mehr als wettgemacht. Ich hoffe, dass es auch in der zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes so weiter geht!
Adéla Horáková