Parlamentarisches Frühstück der Internationalen Jugendarbeit thematisiert Abbau von Mobilitätshindernissen
Gestrichene Sozialleistungen für Jugendliche mit Behinderung bei längeren Auslandsaufenthalten, kaum zu bewältigende bürokratische Schwierigkeiten in der Visabeantragung – dem internationalen Jugendaustausch stehen trotz insgesamt verbesserter Rahmenbedingungen noch immer viele Hürden im Weg. Die bestehenden Hindernisse und mögliche Lösungen diskutierten die Leitungen der bilateralen Jugendwerke und Koordinierungsstellen, IJAB und Jugend für Europa mit Bundestagsabgeordneten am 21. Mai 2015 in Berlin.
Das Thema des Parlamentarischen Frühstücks stieß auf große Resonanz: Mehr als 20 Abgeordnete und deren Mitarbeiter/-innen aus allen Fraktionen und unterschiedlichen Ausschüssen folgten der Einladung. Auch Caren Marks, die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesfamilienministerin, nahm an der Diskussion teil.
Markus Ingenlath, Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks, hob in seiner Einführung den Kerngedanken internationaler Jugendarbeit hervor: Jedem jungen Menschen in Deutschland eine grenzüberschreitende Mobilitäts- und Lernerfahrung zu ermöglichen, um Menschen und Kulturen außerhalb Deutschlands kennenzulernen, eigene persönliche Grenzen und Sprachbarrieren zu überwinden und so Verständnis und Toleranz zu entwickeln. Besondere Aufmerksamkeit gelte dabei dem Anliegen, auch Jugendliche ohne gymnasiale Laufbahn, mit sozialer Benachteiligung, individueller Beeinträchtigung oder mit Migrationshintergrund einzubinden. Die damit einhergehende Ausweitung der Zielgruppen bringe es jedoch mit sich, dass vorhandene Mobilitätshindernisse schärfer hervorträten und neue Mobilitätshindernisse sichtbar würden. Ingenlath skizzierte die Hauptproblemfelder und -empfehlungen.
Thomas Hoffmann, Geschäftsführer der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch, Marie-Luise Dreber, Direktorin von IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., und Hans-Georg Wicke, Leiter von JUGEND für Europa, erläuterten im Verlauf der Diskussion die einzelnen Bereiche genauer, benannten Lösungsmöglichkeiten und konkrete Forderungen an die Abgeordneten.
Nachteile in der Sozialgesetzgebung
Bei dem Ziel, möglichst viele junge Menschen mit sozialer Benachteiligung oder mit Migrationshintergrund in den Austausch zu bringen, gibt es eine Reihe Hindernisse in der Sozialgesetzgebung wie der Verlust von Leistungen nach dem SGB: So sieht SGB XII (§ 24) in der Sozialhilfe zum Beispiel vor, dass „Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, keine Leistungen erhalten“. Das hat zur Folge, dass Langzeitmaßnahmen wie Auslandsaufenthalte im Rahmen von Bildung und Arbeit vom Wegfall der Leistungen betroffen sind, also zum Beispiel der Freiwilligendienst, der Aupair-Aufenthalt oder der Aufenthalt in einem Workcamp. Mit anderen Worten: Junge Menschen müssen sich einen solchen Auslandsaufenthalt wirtschaftlich leisten können!
Ähnliche Beispiele gibt es auch für das SGB II und SGB III (ALG und Wohngeld) oder – im Sinne der Inklusion für junge Menschen mit individueller Beeinträchtigung / Behinderung besonders schmerzlich – beim SGB IX und XI. So besteht z.B. kein Rechtsanspruch auf Sachleistungen für beeinträchtigte Menschen bei einem Auslandsaufenthalt, die Erbringung der Leistung liegt im Ermessen der jeweiligen Verwaltungsstelle.
Hier ist eine einfache, nachvollziehbare und flexible Lösung für die Sicherung von Sozialleistungen während der Teilnahme an Mobilitätsangeboten geboten. Erreicht werden könnte dies z.B. durch die Anerkennung als Bildungsangebot. Dass dies möglich ist, zeigen die durch den Europäischen Sozialfonds geförderten Maßnahmen. Sie gelten beispielsweise als „Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit“ und führen auch bei längerem Auslandsaufenthalt nicht zum Verlust von Sozialleistungen.
Hürden bei der Visaerteilung
Zunehmende Probleme gibt es bei der Visavergabe, wo die Kosten, langwierige Verfahren, das Visa-Informationssystem (VIS) und die Erhebung von biometrischen Daten bei der Visabeantragung des Schengen-Raums es jungen Menschen aus Nicht-EU-Staaten erschweren, an Begegnungsmaßnahmen in Deutschland oder anderen Ländern des Schengen-Raums teilzunehmen. So bedeutet die Erfassung biometrischer Daten in Ländern wie z.B. Russland oder Kasachstan gleichzeitig teure Flüge bzw. mehrtägige Reisen zu den jeweiligen Konsulaten.
Besonders betroffen sind Begegnungen mit Teilnehmenden aus Osteuropa sowie mit afrikanischen Ländern. Aus eigener Erfahrung benannten die anwesenden Organisationen u.a. Schwierigkeiten bei der Visaerteilung für Jugendliche aus der Ukraine, aus Algerien und Ostanatolien, wo teilweise Programme deshalb nicht stattfinden konnten. Die Verschärfung der Visaregularien begünstigt eine künstliche EU-Inselwelt im Jugendaustausch, die sogar bestehende langfristige jugendpolitische Partnerschaften mit Nicht-EU-Staaten in ihrem Bestehen gefährdet. Damit kann der Jugendaustausch als Brücke der jungen Generation in andere Kulturen, Gesellschaften und Lebensweisen nur noch eingeschränkt funktionieren, weil sich die Organisation von Begegnungsprojekten zunehmend auf die EU-Staaten konzentrieren wird.
Die Hauptforderungen hier sind großzügige Ausnahmeregelungen für die öffentlich geförderten Programme des Internationalen Jugendaustausches vom VIS-Programm, eine Verkürzung der Wartezeiten und einheitliche, den Austausch fördernde Regularien an den deutschen Vertretungen im Ausland und bei den Ausländerbehörden. Darüber hinaus sollen junge Menschen in Deutschland mit ausländischem Pass unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus an allen Austauschprogrammen partizipieren können, um Bildungsbenachteiligung zu vermeiden.
Die Nachfragen und Diskussionsbeiträge zeigten, dass vor allem im Bereich der Ausnahmeregelungen Interesse an weiteren Empfehlungen und konkreten Vorschlägen zur Gestaltung einer „Positivliste“ besteht.
Bessere Abstimmung und Zusammenarbeit
Deutlich wurde in der Diskussion mit den Abgeordneten auch, dass unklare Zuständigkeiten und Schnittstellen, mangelnde sektorübergreifende Programme, Abstimmungen und Verwaltungshandeln zu Schwierigkeiten führen können. Während beispielsweise das Auswärtige Amt den Jugendaustausch mit Transformationsländern in Nordafrika fördert, wird der Austausch durch die strengen Visaregularien mit diesen Ländern deutlich erschwert. Vergleichbare Beispiele gibt es auch im Bereich der Sozialgesetzgebung. So kam es in der Praxis beispielsweise dazu, dass eine körperbehinderte Jugendliche mit Pflegebedarf letztlich nicht an einer Jugendbegegnung teilnehmen konnte, da sich die verschiedenen Verwaltungsstellen nicht rechtzeitig darüber einigen konnten, wer für die Bewilligung der Pflegeleistungen zuständig sei.
Die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks verwies auf die bestehende Zusammenarbeit der verschiedenen Ressorts und ein für Juni 2015 geplantes Werkstattgespräch. In der Veranstaltung der AG International mobil zum Beruf sollen in den Sozialgesetzbüchern vorhandene Schnittstellen der Arbeitsbereiche (z.B. der Arbeitsagenturen und Jugendämter) und damit verbundene Probleme erfasst und mögliche Lösung gefunden werden.
Ausführliche Hintergrundinformationen zu den existierenden Problemen, Lösungsvorschläge und Empfehlungen an die Abgeordneten finden Sie hier:
Download Darstellung von gesellschaftlichen Mobilitätshindernissen
Download Empfehlungspapier Mobilitätshindernisse beseitigen
Das Parlamentarische Frühstück der Internationalen Jugendarbeit war eine gemeinsame Veranstaltung von ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch, dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk, IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., JUGEND für Europa, dem Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch – Tandem und der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch.
Autorin: Stephanie Bindzus/IJAB