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Programm "Freiwillige Berufliche Praktika"
„Es hat uns sehr gefallen – bitte nächstes Jahr wieder!“
An der Fachakademie für Übersetzen und Dolmetschen in Weiden i.d. OPf. ist Tschechisch verpflichtende zweite Fremdsprache. „Eine Herausforderung für Studierende und Lehrer/-innen“, sagt Fachbetreuerin Andrea Hielscher. Umso wichtiger ist üben, üben, üben – im Idealfall in dem Land, in dem die Sprache gesprochen wird – und zwar im nur wenige Kilometer entfernten Nachbarland! Wie es der Zufall so wollte, bekamen Studierende der Fachakademie bald die Möglichkeit hierzu, und zwar im Rahmen eines von Tandem vermittelten Praktikums. Im Folgenden lesen Sie den Erfahrungsbericht von Andrea Hielscher:
Rat und Tat von Tandem
Als sich bei mir im Herbst 2015 dank der Vermittlung von Tandem Pilsen plötzlich eine Pilsener Schule meldete, der die Partnereinrichtung wegen Schulschließung abhandengekommen war, eröffnete sich für uns plötzlich die Möglichkeit eines direkteren Kontakts mit den Nachbarn und deren Sprache. Die Fachoberschule für Informatik und finanzielle Dienstleistungen (Střední škola informatiky a finančních služeb, SŠINFIS) hatte bereits Erfahrung mit Austauschbesuchen und sie schlug uns Berufspraktika mit Tandem Regensburg und Pilsen als Koordinierungspartner vor. Ein Besuch der Schule im Januar dieses Jahres, bei dem sich auch die Schulleiter kennenlernten, verlief vielversprechend, sodass ich Kontakt zu Tandem Regensburg aufnahm. Als kompetente und zuverlässige Kollegin erwies sich Leona Jiránková von der Partnereinrichtung in Pilsen, die mir ebenso wie die zuständigen Tandem-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stets mit Rat und Tat zur Seite stand/steht.
Erfreulich positive Resonanz seitens der Studierenden
Trotz der Unkenrufe einiger Kollegen – „Du wirst sehen, da springen dir noch etliche Schüler ab!“ – meldeten alle Studierenden des ersten und zweiten Akademiejahrgangs ihr Interesse an einem Praktikum an und blieben bis auf drei ihrer Zusage treu. Leona Jiránková organisierte in Pilsen Praktikumsplätze am Bezirksamt, an der Handelskammer, einem Freizeitzentrum für Jugendliche, zwei karitativen Organisationen, einer Schule und einem Sport-Fachgeschäft. Sie fand auch ein kostengünstiges Internat, in dem die 15 jungen Leute auf einem Stockwerk in Sechserzimmern wohnen konnten. Schnell stellte sich heraus, dass die 29 Euro, die jedem Teilnehmenden pro Tag zustanden, ausreichten, um die Basisfinanzierung – Wohnen, Essen, Nahverkehr – zu sichern. Was für die Motivation an der Teilnahme an einem Praktikum im Nachbarland sicherlich nicht nachteilig ist.
Eine lehrreiche Erfahrung – in jeder Hinsicht!
Nur knapp über 100 Kilometer trennen Weiden vom westböhmischen Pilsen – und doch sind es in mancherlei Hinsicht Welten. Die ersten Tage stürzten die Weidener in ein Wechselbad der Gefühle, denn es gab einiges zu verarbeiten. Sehr gewöhnungsbedürftig: die Unterkunft im Internat mit dem handtuchschmalen Bad zwischen den Zimmern, der schlichten Brause an einem Wandhaken sowie den schmalen Liegen und den in die Jahre gekommenen Matratzen. Als die Weidener Studierenden jedoch erfuhren, dass es in anderen Internaten auf dem Gang nur eine einzige Dusche gibt und dass etliche Schüler „ihres“ Internats für 14 Tage in andere Zimmer gezogen waren, damit die Weidener zusammenbleiben konnten, setzte bei ihnen ein Denkprozess ein. Eine lehrreiche Erfahrung für oft recht verwöhnte Westler? Ich meine schon.
In Erinnerung bleiben wird den Studierenden das einzigartige menschliche Engagement der Tschechen, das mich selbst statt nur eines geplanten Auslandsjahrs letztendlich ganze zehn im Nachbarland gehalten hatte. Mit viel Fingerspitzengefühl gingen die Gastgeber an das Hauptproblem ihrer deutschen Gäste – „Hilfe, wir verstehen nix!“ – heran und zogen sämtliche kommunikative Register: Sie aktivierten ihre Deutsch- und Englischkenntnisse, bemühten sich, langsamer Tschechisch zu sprechen und schlugen hie und da vor, die Arbeit mal Arbeit sein zu lassen und gemeinsam einen Abstecher in die Stadt zu machen, um in Ruhe zu plaudern. All das wurde von unseren Studierenden dankbar angenommen.
Unschlagbar: der tschechische Sinn für Humor
Besonders im Gedächtnis blieben (neben der guten böhmischen Küche) zwei Ereignisse: Die Chefin des Freizeitzentrums Radovánek ersetzte kurzerhand einer ihrer Praktikantinnen, die in der Straßenbahn in Konflikt mit einer Kontrolleurin gekommen war, die Strafe von 500 Kronen. Weitere 500 Kronen wären zu berappen gewesen, als fünf unserer jungen Damen bei Rot über die Ampel marschierten; als eine der Verkehrssünderinnen, zum Glück selbst halbe Tschechin, ihr Verhandlungsgeschick spielen ließ, senkte der Polizeibeamte die Geldbuße auf 100 Kronen. Auch der tschechische Sinn für Humor und groteske Alltagssituationen sowie die Lust am Improvisieren wurden registriert.
A und O: die richtige Einsatzstelle
Auftakt des Praktikums waren zwei Vorbereitungstage mit Sprachanimation, an der auch drei Mädchen und drei Jungen aus der Partnerschule teilnahmen, die diesen Herbst ein Praktikum in Weiden absolvieren werden. Damit war der Anfang des Praktikums geschafft. Schwieriger wurde es dann am Einsatzort, wo dem einen oder anderen bewusst wurde, dass vielleicht ein paar Vokabeln oder etwas Grammatik aufgefrischt werden sollten.
Fazit: „Es hat uns sehr gefallen!“
Mustergültig und liebevoll: die Betreuung durch Leona Jiránková, die stets für die Gruppe da war und half, wo sie konnte. Sie war immer per Handy erreichbar, organisierte Treffen zum Gedankenaustausch oder der Lösung von Problemen und schlug Ausflugsmöglichkeiten für das Wochenende vor, das die Gruppe allerdings auf eigenen Wunsch individuell gestaltete. Die einen gingen in den Zoo, andere fuhren nach Prag oder Karlsbad, wieder andere erkundeten unbekannte Ecken in Pilsen. Die Stadt fand bei allen großen Anklang, und wegen der Nähe zu Weiden kamen auch einige Eltern und Freunde, um sich dort umzusehen.
Allgemeines Fazit: „Es hat uns sehr gefallen – bitte nächstes Jahr wieder!“ Einen großen Dank an dieser Stelle an das Team von Tandem, das mich stets mit Rat und Tat unterstützt hat. Schön, dass es diese Praktika gibt – und hoffentlich erweisen sie sich auch beim Tschechisch-Unterricht als echte Motivation.
Andrea Hielscher Fachbetreuerin Fremdsprachen an der Fachakademie für Übersetzen und Dolmetschen in Weiden i.d. OPf.
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